Frau Matauschek

von Ulrike Burkhardt-Kibitzki

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Frau Matauschek war eine waschechte Wienerin mit böhmischen Wurzeln. Sie arbeitete viele Jahre in einer chemischen Putzerei, so nannte man das damals, in den 80er Jahren in Österreich. Die Reinigungen. Diese Arbeit war schwer und machte sie auf Dauer krank. Aber Frau Matauschek ließ sich nicht unterkriegen. Und dazu halfen ihr nicht nur ihr sonniges Gemüt, sondern auch ihr fröhlicher, starker, kindlicher Gottesglaube. Sie war eine Methodistin mit Leib und Seele, die kaum einen Gottesdienst oder eine Bibelstunde versäumte. Überall, wo Hilfe gebraucht wurde, war sie dabei. Ihr gezogener und nicht gewickelter Apfelstrudel war legendär und bei diversen Basaren sehr gefragt.

Eines aber kennzeichnete Frau Matauschek besonders Das war ihre fast ungestüme Liebe zu Kindern und jungen Leuten. Ihnen begegnete sie mit einer Herzlichkeit und Offenheit, ja mit einer geradezu einfältigen Zuneigung, dass sie bei vielen, damals Jugendlichen unvergessen blieb.

Ich habe Frau Matauschek kennengelernt, als ich 1900 84852 Semester an der Uni Wien studierte. Ich vergesse nicht, wie sie uns wir waren immerhin über 50 Jahre jünger und neu in der Gemeinde sofort mit einem strahlenden Lächeln willkommen hieß. Wir sangen gemeinsam im Gemeindechor Junge und Alte, und es gab überhaupt keine Debatten über das Liedgut. Es passte einfach für uns alle und wir hatten viel Spaß. 1984 war in der österreichischen Geschichte ein besonderes Jahr. Im Grunde genommen ein verspätetes 68 er Jahr. Das erste Mal regte sich massiver ziviler Widerstand gegen ein Projekt der Regierung. Es ging um den Bau eines Wasserkraftwerkes in einer intakten Donaulandschaft östlich von Wien bei Hainburg. Viele Prominente beteiligten sich, unter anderem Friedensreich Hundertwasser, der ein berühmt gewordenes Plakat entwarf Hainburg, die freie Natur ist unsere Freiheit. Tag für Tag pendelten Busse vom ganzen Land in die Au. Die Besetzung begann. Eine Zeltstadt entstand im Dezember bei Eiseskälte, Regen und Matsch. Hainburg war das Thema unter uns Jüngeren, besonders an der Uni. Viele von uns waren bei der Besetzung dabei. Die Aulandschaft, dieses wunderbare, intakte Biotop, durfte nicht zerstört werden. An einem Adventssonntag erzählten wir in der Gemeinde von unserem Vorhaben, auch in die Au zu gehen und zu besetzen. Das war durchaus ein Wagnis, denn politisches Engagement schon erst recht. Ziviler Ungehorsam war damals in der EMK in Deutschland noch ziemlich umstritten zwischen den Generationen. Aus Deutschland kannten wir viele Vorbehalte und schlichtweg die Position, Christen hätten in der Politik nichts zu suchen. Die Reaktionen an diesem Adventssonntag waren bemerkenswert und das besonders bei Frau Matauschek , die damals schon fast 80 Jahre war und dazu gehbehindert.

Mach das unbedingt, bestärkte sie uns. Ihr müsst dahin, auch für uns Alte. Wir können es nicht mehr morgens um vier mit dem Bus in die auffahren und uns von der Polizei wegtragen lassen. Ihr Jungen macht das für euch und für uns Alte. Gottes herrliche Schöpfung darf doch nicht so rabiat zerstört werden. Heute, wo es Omas gegen Rechts gibt und weißhaarige alt 68 er selbstverständlich auf die Straße gehen, wäre das nichts Besonderes mehr. Damals aber sehr wohl. Der Rückhalt der Gemeinde, gerade auch bei den Älteren und den ganz Alten, war sensationell. Durch Gebete und starkes Interesse für uns waren das so ziemlich die ersten Erfahrungen mit Sitzblockaden. Weggetragen werden, von der Polizei sitzen und frieren. Heftigen Diskussionen im Dreck und Matsch. Das Schönste an der Geschichte aber ist der Ausgang. Die Auseinandersetzungen waren so heftig, der Widerstand so enorm und das Land so erschüttert, dass die österreichische Regierung das Vorhaben aufgab. Am 21. Dezember 1984 verkündete Kanzler Fred Sinowatz einen Weihnachtsfrieden. Die Rodungen wurden eingestellt, das Kraftwerk nicht gebaut. Stattdessen kam der Nationalpark Hainburg ein riesiger Erfolg für den kostbaren Lebensraum der Donauauen und der Aktivisten. Viele Debatten von damals sind sehr aktuell und oft geht es dabei um die Frage, wie wir als generationengerecht miteinander leben, für die Zukunft vorsorgen, füreinander da sind, verzichten oder auch verprassen.

Eigentlich müsste in Gemeinden zumindest in den Generationengemischten ein idealer Raum sein, um diese hochbrisanten Themen miteinander zu besprechen. Ich beobachte aber immer wieder, dass die Generationen für sich unterwegs sind in ihren jeweiligen Blasen und mit sehr wenig Anknüpfung und Austausch untereinander. Die Lebenswelten sind scheinbar so weit auseinander, dass es nur schwer über die eigene Familie hinaus echte Gespräche und Verstehen gibt. Das ist sehr schade. Ich habe es damals anders erlebt. Die Alten hatten unfassbar viel Verständnis für uns Junge. Wir Jungen haben die Alten aber auch wahrgenommen. Und Sie, ich sage es jetzt mal ganz kitschig geliebt. Vielleicht war das schon damals ein glückliches Ideal. Und es war längst nicht überall selbstverständlich. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht immer wieder bemühen sollten. Deshalb meine Bitte Ja, mein Appell Geht aufeinander zu, grüßt euch freundlich, fragt nach, interessiert euch füreinander, bleibt nicht in eurer Blase. Das ist eh langweilig auf die Dauer.

Fragt nach, welche Themen gerade dran sind, wo es richtig Probleme gibt, welche Sorgen die jeweils anderen haben. Tauscht euch über die Zukunft aus und über das, was gewesen ist. Wertschätzt alles das Vergangene, die Gegenwart und das Zukünftige. Erzählt euch gegenseitig eure Glaubens und Lebensgeschichten und ihr werdet merken euch verbindet viel mehr, als ihr eigentlich denkt. Besucht die Alten, wenn sie immer weniger mobil sind. Er tragt eure unterschiedlichen Musikgeschmäcker und lasst nicht zu, dass ihr euch darüber entzweit. Jede Generation steht auf den Schultern der Nächsten. Es braucht beides die Wurzeln der Alten und die Flügel der Jungen.

Die Jahreslosung passte eigentlich sehr gut und eben nicht nur am Jahresanfang.

Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe. Dem muss eigentlich nichts hinzugefügt werden.

 

Verfasser:in Ulrike Burkhardt-Kibitzki

Pastorin der EmK und Referentin im Bildungswerk

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Erzwungene Nähe schafft Distanz